Ach, die glorreichen Anfänge einer jeden Newcomer-Band! Man stellt sich vor, wie man mit donnerndem Applaus von Zehntausenden gefeiert wird, die Fans die Texte brüllen und der eigene Name in leuchtenden Lettern über den größten Arenen prangt. Die Realität? Oft ein muffiger Studentenkeller, bewaffnet mit einer Gitarre, die klingt, als hätte sie schon bessere Tage gesehen (oder nie), einem Schlagzeug, das sich anhört, als würde es gleich auseinanderfallen, und einem Bassisten, der sich fragt, ob das überhaupt sein Leben ist.
Und die erste goldene Regel, die man sich in diesen heiligen Hallen des Amateurtums einprägt: Du musst laut sein! Verdammt laut! Wenn du nicht wie eine Studentenband auf Speed und 140 dB klingst, dann lockst du keinen hinterm Ofen vor. Dein Sound muss die Tapete von den Wänden brüllen und den Putz von der Decke fallen lassen. Denn im Getümmel der WG-Partys und schlecht belüfteten Jugendzentren ist Lautstärke oft das einzige, was noch durchdringt. Die Nuancen? Die subtilen Melodien? Die tiefgründigen Texte? Alles Schall und Rauch (meistens nur Rauch, um ehrlich zu sein) im Angesicht der Dezibel-Offensive.
Die bittere Pille der Haltwertzeit
Nun, liebe Newcomer, haltet euch fest: Dieser Ansatz hat ein kleines, aber entscheidendes Problem. Wenn du dauerhaft so klingst, als hättest du gerade eine Dose Energy-Drinks geext und dein Verstärker stünde auf „Kernschmelze“, dann beträgt deine Haltwertzeit als Musiker leider oft nicht mehr als fünf Jahre. Vielleicht schaffst du ein paar Gigs, vielleicht sogar eine kleine lokale Fanbase. Aber dann passiert’s:
Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern. Die haben gerade Omas Erbanteil (oder den der Tante, je nachdem, wer zuerst ins Gras gebissen hat) in ein Home-Studio investiert. Sie haben die neuesten Plugins, die billigsten Mikros und klingen – Überraschung! – genauso wie ihr, nur vielleicht mit etwas weniger Hall vom Keller-Beton. Und plötzlich seid ihr nicht mehr die aufregenden, lauten Newcomer, sondern nur noch die alteingesessenen, lauten Newcomer, die niemand mehr hören will.
Das ewige Dilemma: Keller-Credibility vs. Karriere-Kickstart
Das ist das schwierige Problem junger Bands. Man muss in der Anfangsphase diese brachiale Energie auf die Bühne bringen, um überhaupt bemerkt zu werden. Man muss das Publikum mit roher Gewalt (und Lautstärke) überzeugen, dass man da ist. Aber genau dieser Sound, der im kleinen Rahmen so erfolgreich ist, ist gleichzeitig die größte Sackgasse für eine echte Karriere.
Denn mal ehrlich, wer bucht eine Band für Festivals oder größere Bühnen, wenn der Haupt-Selling-Point „hört sich an, als würde ein Güterzug durch eine leere Halle rasen“ ist? Plattenfirmen (falls es die überhaupt noch gibt und sie zuhören) suchen nach Eigenständigkeit, Wiedererkennungswert und – ja, leider – auch nach Radiotauglichkeit. Und da passen 140 dB und das Gefühl, dass die Band gleich implodiert, nur selten rein.
Der Ausweg: Lautstärke im Kopf, Sound im Herzen
Also, was tun, liebe Nachwuchs-Rocker, Pop-Elektroniker oder Jazz-Fusion-Screamer? Hier ein paar (humorvolle) Überlebenstipps:
- Denkt über den Pegel hinaus: Ja, es muss knallen. Aber kann es auch gut knallen? Arbeitet an eurem Sound, auch im Proberaum. Weniger ist manchmal mehr (außer bei der Lautstärke, da ist mehr immer noch mehr).
- Findet eure Nische: Es gibt zig Bands, die nach „Studentenband auf Speed“ klingen. Werdet die Studentenband, die auf Speed klingt und eine Geige hat. Oder einen Theremin. Oder einen Dudelsack. Irgendwas, das euch von den Klonen unterscheidet!
- Investiert klug: Bevor ihr Omas Erbe in ein drittes Verstärker-Stack steckt, investiert in einen guten Produzent*in (der/die auch mal sagt: „Mach leiser!“).
- Die Botschaft zählt: Habt ihr etwas zu sagen? Oder wollt ihr nur, dass die Wände wackeln? Eine Karriere hält länger, wenn die Menschen nicht nur eure Ohren betäuben, sondern auch euer Herz berühren (oder zumindest zum Denken anregen).
- Entwickelt euch weiter: Der Keller ist ein Sprungbrett, kein Altersheim. Traut euch, euren Sound zu verändern, wenn ihr merkt, dass er zur Sackgasse wird. Lasst die Haare nicht nur lang werden, sondern auch euren Horizont.
Es ist eine schwierige Gratwanderung, das ist wahr. Aber nur wer bereit ist, über den ersten ohrenbetäubenden Eindruck hinauszugehen und eine eigene, einzigartige musikalische Identität zu entwickeln, hat eine Chance, nicht nur fünf Jahre zu überleben, sondern vielleicht sogar (Gott bewahre!) eine echte Karriere zu machen. Viel Erfolg beim Dezibel-Ballett!