Wer seine lokale Tageszeitung aufschlägt oder durch die endlosen Weiten der Online-News scrollt, dem wird eine ganz spezielle Form der journalistischen Inszenierung nicht entgehen: das Stereotyp. Obwohl wir uns einreden, in einer Welt jenseits der Klischees zu leben, sind die Massenmedien offenbar fest in deren Bann gefangen. Es scheint, als hätte jede soziale Gruppe, jede Nische und jeder außergewöhnliche Lebensweg einen ganz bestimmten Look zu erfüllen.

Nehmen wir die seltsamen Erfolgsgeschichten von Frauen. Wenn eine Frau mit einem innovativen Start-up für nachhaltige Einhorn-Socken von sich reden macht oder die erste Imkerin in der siebten Generation ist, dann können wir uns beinahe sicher sein, dass sie zwei Merkmale aufweist: Sie hat einen Doppelnamen wie Marie-Sophie oder Anna-Lena und trägt eine Brille. Die Brille ist dabei kein bloßes Sehhilfsmittel, sondern ein stummes Statement von Intellekt und Zielstrebigkeit. Das Doppelnamens-Modul signalisiert derweil die perfekte Balance zwischen Tradition und modernem Drive.


Der Peter, der Vollbart und das Schicksal des Otto-Normal-Miliieus

Ganz anders sieht es im sogenannten Otto-Normal-Milieu aus, das in den Zeitungen gerne mit einem Hauch von bodenständiger Echtheit porträtiert wird. Hier regieren die Männer mit den Namen Peter, Sebastian oder Michael. Sie sind der Kern der Gesellschaft: der leidenschaftliche Imbissbudenbetreiber, der Autonarr, der sich in seiner Garage ein altes Schätzchen zusammenbaut, oder der lokale Aktivist, der sich für den Erhalt des Dorfbrunnens einsetzt.

Ihr Markenzeichen? Ein satter Vollbart, der eine Mischung aus maskulinem Ernst und handwerklicher Verlässlichkeit ausstrahlt. Dazu kommt fast immer eine Nerdbrille (ob mit oder ohne Stärke, das bleibt ein Geheimnis) und oft eine locker aufgesetzte Basecap. Das i-Tüpfelchen, das in diesen journalistischen Inszenierungen nie fehlen darf: Tätowierungen, die prominent am Unterarm oder Hals platziert sind, um die Persönlichkeit und die Lebensgeschichte auf den ersten Blick zu erzählen. Diese sind nicht einfach nur Tinte unter der Haut, sie sind der Beweis für ein echtes, ungeschliffenes Leben.


Die intellektuelle Elite: Eine Spezies für sich

Und dann gibt es da noch die Geschichten, die einen übergeordneten Intellekt und eine gewisse akademische Überlegenheit andeuten. Hier finden wir den Einser-Gymnasiasten, der in seiner Freizeit die Stadtchronik neu schreibt, den jungen Physiker, der ein Paper über Quantenverschränkung verfasst hat, oder den begabten Schachspieler.

Diese Spezies nennt man Torben, Leander, Malte oder, in besonders elitären Kreisen, Malte-Leander. Sie sind fast immer blasse Typen, die so aussehen, als hätten sie die letzten zehn Jahre nur im Lesesaal verbracht. Auch sie tragen eine Brille – allerdings eine dezentere, elegantere Variante. Und das wichtigste Merkmal zur Abgrenzung vom „Otto-Normal“: Sie sind niemals tätowiert. Ein Tattoo würde ihre reine, geistige Aura beflecken und die Illusion der unberührten Gehirnleistung zerstören.


Die Konsequenz der Inszenierung

Es ist eine kuriose, fast tragikomische Erkenntnis: Obwohl wir behaupten, Stereotypen zu überwinden, bedienen sich unsere Medien ihrer mit beängstigender Präzision. Sie schaffen eine einfache, bequeme Lesart der Welt, in der der Bart den Handwerker auszeichnet, der Doppelname die Business-Lady, und die blasse Haut den Genius.

Die Medien fokussieren eindeutig Stereotypen, obwohl sie dies eigentlich nicht machen sollten. Es ist einfacher, eine Geschichte zu erzählen, wenn die Charaktere auf den ersten Blick erkennbar sind. Ob ein Peter mit Bart in Wirklichkeit lieber Gedichte schreibt und eine Marie-Sophie mit Brille am liebsten Autos schraubt? Das würde die Geschichte verkomplizieren. Und kompliziert, so scheint es, ist das Letzte, was ein guter Zeitungsartikel sein soll.

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Der Mensch ist ein Geschichtenerzähler, und eine gute Geschichte braucht eben archetypische Helden. Auch wenn die Wirklichkeit meist viel, viel langweiliger – oder eben spannender – ist.