Die Musikwelt feiert sie, die Medien lieben sie, und in jedem zweiten Featurette wird sie als das Nonplusultra der Kreativität beworben: die Kollaboration. Zwei oder mehr Künstler treffen sich, tauschen Ideen aus und erschaffen gemeinsam etwas, das größer ist als die Summe ihrer Teile. Ein wunderbarer Gedanke. Doch wer tiefer blickt, erkennt hinter dieser schillernden Fassade oft eine bittere Wahrheit: Die Suche nach Kollaborationen ist im Kern eine Krise.
Sie ist ein SOS, das von einem oder gar allen Beteiligten ausgesendet wird.
Man könnte es auch so formulieren: Wenn ein Musiker anfängt, aktiv nach Kollaborationen zu suchen, ist das wie ein Handwerker, der plötzlich verzweifelt nach einem Nachbarn fragt, ob er ihm beim Hämmern hilft. Nicht, weil er eine neue Technik lernen will, sondern weil ihm die Nägel ausgegangen sind und er nicht mehr weiß, wie er seinen eigenen verdammten Stuhl zusammenbauen soll.
Die Illusion des „neuen Inputs“
Der Versuch, neuen Input zu erlangen, ist das charmanteste und am häufigsten genutzte Argument. „Ich brauchte einfach eine neue Perspektive!“, hört man dann. Was in Wahrheit oft dahintersteckt, ist die stille, nagende Erkenntnis: Ich habe meinen Zenit erreicht. Die eigenen Melodien klingen langsam schal, die Harmonien wiederholen sich, und die kreative Quelle sprudelt nur noch tröpfchenweise.
Die Kollaboration wird dann zum Rettungsanker. Man hofft, dass der Funke der Kreativität eines anderen die eigene Glut wieder entfachen kann. Man will sich an das Talent eines anderen hängen, in der Hoffnung, dass die Welle einen mitreißt. Es ist der Versuch, die eigene Unzulänglichkeit mit fremder Inspiration zu übertünchen.
Das ist im Grunde wie beim Autofahren: Wenn man merkt, dass man immer im Kreis fährt, sucht man nicht nach einem neuen Beifahrer, sondern erkennt, dass man selbst die Richtung ändern muss. Die Musiker-Version davon ist, einfach jemand anderen ans Steuer zu lassen und zu hoffen, dass man dabei etwas Interessantes sieht.
Die Partnersuche des Scheiterns
Für die Beteiligten ist eine Kollaboration oft wie eine Art Blind Date:
- Die Verzweifelte: „Ich habe schon seit Monaten keinen guten Song mehr geschrieben. Bitte, irgendjemand, rette mich vor der Stille in meinem Kopf!“
- Der Aufmerksamkeitsbedürftige: „Ich brauche dringend wieder eine Schlagzeile. Mit XY arbeite ich zusammen, das gibt sicher Klicks und neue Follower!“
- Der Einsame: „Ich weiß nicht mehr weiter. Allein ist es so schwer. Zusammen sind wir stark, oder? Oder?“
Diese Kollaborationen sind keine Fusionen von zwei kreativen Genies auf Augenhöhe, sondern oft eine Zweckgemeinschaft, die aus der Not geboren wird. Die gemeinsame Anstrengung ist dabei selten ein Ausdruck von Überfluss an Ideen, sondern eher der Versuch, eine kreative Leere zu füllen.
Die traurige Wahrheit
Die traurige Wahrheit ist, dass man die besten Songs oft alleine schreibt. Im stillen Kämmerlein, im Moment der ungestörten Inspiration. Dann, wenn der Künstler mit sich und seinen Ideen im Reinen ist. Die wirklich kraftvollen Kollaborationen entstehen dann, wenn zwei gefestigte Kreative aufeinandertreffen, die beide voller Ideen sind und sich gegenseitig zu neuen Höhen anspornen.
Die Suche nach einer Kollaboration ist also nicht per se schlecht. Aber wenn sie aus der Not geboren wird, aus der Erkenntnis, dass man alleine nicht weiterkommt, dann ist sie kein Zeichen von Wachstum, sondern ein stilles Eingeständnis des kreativen Stillstands.
Man sollte die Zusammenarbeit also weniger als magischen Glücksfall, sondern eher als letztes Aufbäumen vor der kreativen Pause sehen. Es ist wie beim Klettern: Man ruft nicht nach einem Seilpartner, weil man die Aussicht teilen will, sondern weil man das Gefühl hat, alleine nicht mehr weiterzukommen. Und manchmal ist es dann besser, einfach eine Pause zu machen, sich umzuschauen und den Weg neu zu überdenken.