Die psychologische Dynamik der „Prinzessin in Ohnmacht“, bei der Überforderung als Abwehrmechanismus dient, findet eine kuriose Entsprechung in einem Phänomen, das viele abgeklärte Beobachter als regelrechte Satire empfinden: Der überdurchschnittliche Bedarf an Coaching für Unternehmer*innen bei vermeintlich banalen Themen. Es ist ein Markt, der boomt, und doch fragen sich viele, warum gestandene Geschäftsleute für Ratschläge bezahlen, die auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen.
Die Illusion der Selbstverständlichkeit
Was für den Außenstehenden banal wirkt – etwa das Annehmen von Verantwortung, das Konzentrieren auf eine Aufgabe, oder das Zuhören bei komplexen Erklärungen – ist für manche Menschen eine erhebliche Herausforderung. Der „normale“ Mensch geht davon aus, dass diese Fähigkeiten grundlegend sind und in der Berufswelt vorausgesetzt werden. Doch die Realität zeigt, dass diese Grundkompetenzen nicht universell vorhanden oder nicht konstant abrufbar sind, insbesondere unter Druck.
Warum „banale“ Themen zu Coaching-Fällen werden
Der scheinbar paradoxe Bedarf an Coaching für simple Themen hat mehrere psychologische und praktische Gründe, die eng mit der zuvor beschriebenen „Prinzessin in Ohnmacht“-Strategie verbunden sind:
- Die Entlastung durch externe Autorität:
- Die „Märchenrolle“ des Coaches: Ähnlich wie der Prinz die Prinzessin „rettet“, wird der Coach zur externen Autorität, die Orientierung und Struktur bietet. Was im internen Team oder von einem Mitarbeiter nicht akzeptiert wird (weil es als Kritik oder Zumutung empfunden wird), kann vom „teuer bezahlten“ Coach als neutraler Ratschlag angenommen werden. Die Verantwortung für das Erkennen und Ansprechen des Problems wird ausgelagert.
- Das Akzeptieren von unangenehmen Wahrheiten: Der Coach kann Verhaltensweisen, die sonst als Schwäche oder Versagen gelten würden (z.B. mangelndes Zuhören, Vermeidung), neutral benennen und als „Entwicklungspotenzial“ umdeuten.
- Mangelnde Selbstreflexion und das Gefühl der „Prinzessin“:
- Personen, die dazu neigen, in die „Ohnmachts-Strategie“ zu verfallen, sind oft nicht in der Lage, ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen. Für sie sind ihre Reaktionen auf Überforderung normal und legitim.
- Ein Coach kann als Spiegel dienen, der Verhaltensmuster aufzeigt, die der Person selbst nicht bewusst sind. Er bietet eine geschützte Umgebung, um diese Muster zu erkennen, ohne das Gesicht zu verlieren.
- Die Komplexität der scheinbar einfachen Dinge:
- „Banal“ ist oft nur die Oberfläche. Dahinter verbergen sich tiefere Probleme wie Angst vor Misserfolg, Perfektionismus, mangelndes Zeitmanagement, schwache Emotionsregulation oder auch schlichtweg Überforderung durch Informationsflut. Ein Coach kann helfen, diese tieferliegenden Ursachen zu identifizieren und zu bearbeiten.
- Die Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und sich nicht willkürlich stören zu lassen („Syntax Error“), ist für viele eben nicht banal, sondern eine Kompetenz, die trainiert werden muss.
- Die Notwendigkeit von „Deep Work“ in einer oberflächlichen Welt:
- In unserer reizüberfluteten und digitalisierten Welt ist die Fähigkeit zur konzentrierten, ungestörten Arbeit (Deep Work) eine immer seltener werdende und damit immer wertvollere Kompetenz. Viele Menschen haben verlernt, wie man sich wirklich auf eine Sache konzentriert, weil sie ständig unterbrochen werden oder sich selbst ablenken. Ein Coach kann hier Techniken und Strategien vermitteln.
- Sozialer Druck und Imagepflege:
- „Coaching“ ist heute oft auch ein Statussymbol. Es zeigt, dass man an sich arbeitet, auch wenn die Themen für Außenstehende trivial wirken. Es ist Teil der Selbstdarstellung als jemand, der sich weiterentwickelt.
Wenn Satire zur Realität wird
Die von einigen empfundene „Satire“ entsteht aus der Kluft zwischen der Erwartung an eine Führungskraft (souvereän, entscheidungsfreudig, lösungsorientiert) und der Realität des Coaching-Bedarfs für das, was als elementar gilt. Es ist eine ernüchternde Erkenntnis, dass die Fähigkeit, mit Komplexität umzugehen, zuzuhören und Verantwortung zu übernehmen, in der heutigen Geschäftswelt nicht immer selbstverständlich ist und aktiv trainiert werden muss.
Das Phänomen des „banalen Coachings“ ist somit kein Indikator für eine kollektive Dummheit, sondern eher ein Symptom unserer Zeit: einer Zeit, in der grundlegende Kompetenzen in einer immer komplexeren, reizüberfluteten und schnelllebigen Umgebung zu wertvollen, erlernbaren Fähigkeiten geworden sind. Der Coach wird dann zur notwendigen Brücke, die den Graben zwischen der Prinzessin, die in Ohnmacht fällt, und der Realität, die nach Lösungen verlangt, überwinden hilft.