Okay, liebe Newcomer-Band, schnallt euch an, denn jetzt kommt die knallharte Realität, die euch kein hipper Musikblog und kein cooler Indie-Produzent ins Gesicht schleudern wird, weil’s einfach nicht „authentisch“ genug klingt: Ein wenig Mainstream schadet nie. Ja, ich weiß, das tut weh. Das kratzt am musikalischen Ego, das sich als Avantgarde einer neuen Ära sieht. Aber wenn dein großer Traum über den verrauchten Studentenclub hinausgeht, dann solltest du jetzt genau zuhören.
Stell dir vor: Dein Gitarrist hat gerade das siebte Solo in einem Song beendet, das so progressiv und dissonant ist, dass selbst Jazz-Musiker verwirrt die Stirn runzeln. Dein Drummer spielt eine Polyrhythmik, die selbst Mathematikern Kopfschmerzen bereitet. Und dein Sänger growlt Texte über die Abgründe der menschlichen Existenz, die nur du und deine drei treuesten Fans verstehen. Glückwunsch! Ihr habt soeben den perfekten Sound für… nun ja, für euren Proberaum und die eingangs erwähnte Studenten-Spelunke, die ihr im November bespielen dürft.
Die bittere Pille: Kompatibilität statt Kompromisslosigkeit
Die Wahrheit ist: Ein brachialer, progressiver Trash-Sound ist musikalisch vielleicht wahnsinnig „echt“ und „kompromisslos“, aber er ist auch genau das… Falsche, wenn ihr eine breitere Masse erreichen wollt. Und ja, „breitere Masse“ bedeutet, dass ihr vielleicht nicht nur vor 30 Leuten spielt, die zufällig an diesem Abend das billigste Bier gesucht haben.
Warum ist das so? Ganz einfach:
- Das menschliche Ohr ist faul: Die meisten Menschen wollen nicht arbeiten, um Musik zu verstehen. Sie wollen sofort abgeholt werden. Eine gefällige Melodie, ein eingängiger Refrain, ein Rhythmus, der zum Mitwippen anregt – das sind die Türöffner. Eure siebte Taktartwechsel in 30 Sekunden? Da ist der durchschnittliche Hörer schon längst bei TikTok gelandet.
- Radio und Playlists sind Gatekeeper: Ob ihr es wollt oder nicht: Radio (ja, das gibt’s noch!) und die großen Streaming-Playlists sind entscheidend für eure Reichweite. Und die Algorithmen (und Radioredakteure) sind gnadenlos. Passt euer Sound nicht in ein bestimmtes, für die Masse „verdauliches“ Schema, seid ihr raus. „Das würde grad noch so im Radio laufen“ – genau das ist das magische Kriterium, wenn ihr nicht für die ewige Underground-Existenz geboren seid.
- Die Leute wollen sich nicht verstanden fühlen, sie wollen unterhalten werden: Klar, Kunst darf provozieren und zum Nachdenken anregen. Aber um eine große Masse zu begeistern, braucht es oft ein gewisses Maß an Entertainment, an Wiedererkennungswert, an emotionaler Zugänglichkeit. Eure intellektuelle Auseinandersetzung mit der post-postmodernen Dekonstruktion der urbanen Klanglandschaft mag künstlerisch wertvoll sein, aber sie verkauft keine Tickets für die Stadthalle.
- Ein bisschen „Pop“ ist wie Salz in der Suppe: Niemand sagt, dass ihr eure Seele verkaufen und zur nächsten Boyband mutieren sollt. Aber ein „gewisses Maß an Gefälligkeit“ ist wie Salz in der Suppe. Es hebt die Aromen hervor, macht das Ganze schmackhafter. Eine Spur eingängiger Melodie, ein Refrain, der im Kopf bleibt, eine Hook, die hängenbleibt – das sind die Elemente, die aus einem „ganz okay“ ein „muss ich nochmal hören!“ machen.
Was bedeutet das für euch?
- Studiert den Mainstream – ohne euch zu prostituieren: Hört euch an, was im Radio läuft, was in den Charts ist. Analysiert die Songstrukturen, die Melodieführungen, die Produktionsweise. Versteht, was die Leute hören wollen, und überlegt, wie ihr das auf eure eigene, coole Art integrieren könnt, ohne eure Identität zu verlieren.
- Der Refrain ist euer Freund: Egal wie komplex die Strophe ist, der Refrain sollte ein Ohrwurm sein. Punkt.
- Weniger ist oft mehr: Nicht jedes musikalische Experiment muss in jedem Song stattfinden. Manchmal ist ein starker, fokussierter Song wirkungsvoller als ein chaotisches Potpourri aus Ideen.
- Wählt euren Kampf: Kunst oder Kommerz (oder beides intelligent verknüpft): Wenn ihr wirklich nur für die Kunst brennt und euch der Erfolg egal ist, dann macht euren brachialen Trash-Sound. Kein Problem. Aber wenn ihr den Traum habt, auf größeren Bühnen zu stehen und ein breiteres Publikum zu erreichen, dann müsst ihr Kompromisse eingehen – keine faulen, aber kluge.
Am Ende des Tages ist Musik ein Geschäft. Und in diesem Geschäft muss euer Produkt – eure Musik – marktfähig sein. Das ist keine Beleidigung eurer Kreativität, sondern eine strategische Überlegung. Euer „brachialer progressiver Trashsound“ ist ein Nischenprodukt. Wenn ihr aus der Nische rauswollt, müsst ihr ein bisschen gefälliger werden. Und das ist die ungeschminkte, aber hilfreiche Wahrheit.
Was denkst du, ist der „Ausverkauf“ einer Band für den Erfolg unvermeidlich, oder gibt es einen Weg, authentisch zu bleiben und trotzdem durchzustarten?