Das sagt dir so keiner, wenn du als junge Band oder Newcomer in der Musikszene durchstarten willst: Wenn du Kunst machst, erfinde für dich eine Kunstfigur. Ja, richtig gehört. Und nein, das ist keine Aufforderung, sich eine alberne Maske aufzusetzen oder sich „DJ Mega-Rave-Einhorn“ zu nennen. Es geht um etwas viel Subtileres, viel Strategischeres – und ja, auch um etwas, das dich vor dem ein oder anderen peinlichen Moment bewahren kann.
Warum eine Kunstfigur dein bester Freund (und dein Alibi) ist
Die meisten Menschen denken bei Künstlernamen und Kunstfiguren an Lady Gaga, David Bowie als Ziggy Stardust oder Slipknot. Und klar, das sind extreme, sichtbare Beispiele. Aber in Wirklichkeit haben viel mehr Künstler eine Art Kunstfigur als man gemeinhin annimmt. Dein Lieblings-Singer-Songwriter, der so „authentisch“ und „von nebenan“ wirkt? Höchstwahrscheinlich hat auch der eine fein abgestimmte Version seiner selbst erschaffen, die er auf der Bühne und in der Öffentlichkeit präsentiert.
Warum ist das so nützlich? Ganz einfach:
- Die Bühne ist kein Wohnzimmer: Stell dir vor, du bist auf der Bühne. Die Lichter blenden, die Menge johlt (hoffentlich). Das ist keine gemütliche Runde im Wohnzimmer. Hier musst du performen, eine Energie übertragen, die größer ist als dein Alltags-Ich. Eine Kunstfigur gibt dir die nötige Distanz und eine Rolle, in die du schlüpfen kannst. Dein „Bühnen-Ich“ kann lauter, cooler, rätselhafter oder wilder sein, als du es beim Bäcker um die Ecke bist. Das ist nicht unauthentisch, das ist professionell.
- Schutzschild gegen die harte Realität: Die Musikbranche kann brutal sein. Kritik, Absagen, Spott im Internet – das alles prallt weniger hart ab, wenn es die Kunstfigur trifft und nicht direkt dein tiefstes, verwundbarstes Ich. Du kannst dich hinter deiner Rolle verstecken, wenn es mal ungemütlich wird. „Ach, das haben die über meine Kunstfigur XY geschrieben, nicht über mich persönlich.“ Das ist ein psychologischer Trick, der Gold wert sein kann.
- Konsistenz im Chaos: Gerade am Anfang stolpern viele Bands über Inkonsistenz. Mal tragen sie Band-Shirts, mal Anzüge, mal Batik. Die Musik geht von Folk zu Death Metal. Eine Kunstfigur (oder ein klares Band-Konzept) hilft dir, eine visuelle und akustische Identität zu schaffen, die wiedererkennbar ist. Dein „Künstler-Ich“ hat einen bestimmten Stil, eine Art zu reden, vielleicht sogar eine Hintergrundgeschichte. Das macht dich einzigartig und merkwürdig… äh, merk-würdig.
- Die mystische Aura des Unbekannten: Niemand will den Künstler, der schon beim ersten Treffen seine gesamte Lebensgeschichte und seine Schuhgröße preisgibt. Ein Hauch von Geheimnis, ein bisschen Unnahbarkeit macht neugierig. Deine Kunstfigur kann diese Mystik aufrechterhalten, ohne dass du privat zum verschlossenen Eremiten werden musst. Die Leute sollen über deine Musik reden, nicht über dein leidenschaftliches Hobby „Briefmarkensammeln“.
- Das „Alibi“ für die wilden Jahre: Mal ehrlich, junge Bands machen manchmal Dinge, die sie später bereuen. Ein fragwürdiger Gig in einem noch fragwürdigeren Outfit, ein Text, der unter Alkoholeinfluss entstand und den man nicht mehr widerrufen kann. Wenn du eine Kunstfigur hast, war es „die Kunstfigur“, die das getan hat. Das ist das perfekte Alibi für deine Jugendsünden. „Ach ja, das war noch zu meinen ‚Trash-Königin Blitzgewitter‘-Zeiten!“
Wie erschafft man eine Kunstfigur (ohne zum Clown zu werden)?
Das muss kein Hexenwerk sein und ist selten eine komplett neue Erfindung. Oft ist es eine Extremierung oder eine konzentrierte Essenz deines eigenen Charakters oder deiner musikalischen Botschaft.
- Wer bist du, wenn du auf der Bühne stehst? Überlege: Welche Seite von dir kommt da zum Vorschein? Ist es die Melancholische, die Rebellische, die Humorvolle? Verstärke diese Eigenschaft.
- Was ist deine Botschaft? Wenn deine Musik von Hoffnung handelt, sei die Verkörperung der Hoffnung. Wenn sie von Zerstörung spricht, sei der Zerstörer (im künstlerischen Sinne, versteht sich).
- Der Look: Kleidung, Frisur, Make-up – all das kann Teil deiner Kunstfigur sein. Überlege, was die Essenz deines Sounds visuell übersetzt. Muss es immer der gleiche Hut sein? Eine bestimmte Farbe? Eine ungewöhnliche Geste?
- Der Name: Muss es wirklich dein Geburtsname sein? Ein Künstlername kann dir helfen, diese Trennung zu vollziehen. Er kann cool, geheimnisvoll oder programmatisch sein.
- Bleib flexibel: Eine Kunstfigur muss nicht in Stein gemeißelt sein. Sie kann sich entwickeln, reifen, sogar sterben (fragt David Bowie). Sie ist ein Werkzeug, kein Gefängnis.
Denk daran: Die Musikwelt ist voll von Geschichten, nicht nur von Songs. Deine Kunstfigur ist ein Teil deiner Geschichte. Sie gibt dir die Freiheit, auf der Bühne zu sein, wer du sein musst, während du privat du selbst bleiben kannst. Und das ist in der heutigen, hypervernetzten Welt ein unschätzbarer Vorteil. Also, trau dich – erfinde dich neu, zumindest für die Bühne!