Liebe junge Talente, angehende Superstars und alle, die mit Mikrofon oder Gitarre bewaffnet die Welt erobern wollen: Es gibt eine Wahrheit, die dir deine Fans, deine Mutter und selbst dein wohlmeinender Gesangslehrer vielleicht nicht direkt ins Gesicht sagen, aber ich tue es: Deine Idole nachzusingen ist eine fantastische Übung. Aber es ist auch der schnellste Weg in die musikalische Sackgasse.
Ich kenne es doch: Du bist verliebt in Beyoncés Stimmgewalt, Taylors Songwriting-Künste oder Ed Sheerans intime Performance. Du hast jede Nuance studiert, jeden Lauf perfektioniert, die Mimik vor dem Spiegel geübt, bis du fast schon besser klingst als das Original. Deine Freund:innen sind begeistert, die Leute auf Open-Mic-Nights klatschen. „Boah, du klingst ja wie [Idol-Name]!“ – Das ist das größte Kompliment, oder?
Nein. Ist es nicht.
Es ist ein Warnsignal. Ein lautes, schrilles Signal, das dir sagt: „Du hast noch keinen eigenen Stil!“
Die goldene Käfigfalle der Imitation
Versteh mich nicht falsch: Kopieren ist essenziell für den Lernprozess. Picasso sagte: „Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen.“ Aber das „Stehlen“ meint hier nicht, die Technik eins zu eins zu übernehmen, sondern Inspiration zu saugen, zu verinnerlichen und dann etwas völlig Neues daraus zu schmieden, das deine eigene Handschrift trägt.
Viele Solokünstler, besonders Sängerinnen, verharren aber genau in dieser Phase der Imitation. Sie werden zur „Queen of Coversongs“ (oder zum „King“, je nach Geschmack). Du bist technisch brilliant, du triffst jeden Ton, aber am Ende bist du nur eine sehr gute Kopie. Und die traurige Wahrheit ist: Die Leute haben das Original schon. Warum sollten sie immer wieder die Kopie hören? Es ist wie ein wunderschönes, aber nachgebautes Schloss. Beeindruckend, ja, aber es fehlt die Seele des Originals.
Das Problem ist: Du konkurrierst nicht mit anderen Newcomern, die ihren eigenen Sound suchen. Du konkurrierst direkt mit den Millionen-Dollar-Produktionen deiner Idole. Und da ziehst du, rein kommerziell und stilistisch, den Kürzeren. Du bleibst im Schatten, egal wie hell du strahlst.
Der Weg aus der Coversong-Falle: Finde deine eigene Stimme
Keine Panik! Es ist nie zu spät, den Kompass neu auszurichten. Hier sind ein paar nützliche Hinweise, die dir helfen, deine eigene musikalische Identität zu finden und nicht für immer im Schatten deiner Idole zu verweilen:
- Höre bewusst anders zu: Klar, studiere deine Idole. Aber dann höre dir Songs von Genres an, die du normalerweise meiden würdest. Jazz, Klassik, Folk, obskure elektronische Musik – alles, was dir neue harmonische, rhythmische oder melodische Ideen geben kann. Du musst es nicht mögen, aber lass dich inspirieren. Ein Jazz-Lauf kann einem Pop-Song unerwarteten Twist geben. Eine Folk-Harmonie kann deine Melodie erfrischen.
- Schreibe, schreibe, schreibe – auch schlechte Songs: Der eigene Stil kommt selten durch das Singen fremder Lieder. Er kommt durch das Schreiben eigener Songs. Ja, die ersten hundert werden vielleicht furchtbar sein. Egal! Es geht um den Prozess. Was hast du zu sagen? Welche Geschichten willst du erzählen? Welche Melodien entstehen in deinem Kopf, wenn du nicht versuchst, jemand anderen zu imitieren?
- Experimentiere mit deiner Stimme/deinem Instrument: Wenn du Sänger:in bist: Spiele mit deiner Stimmfarbe. Muss immer alles perfekt klingen? Was passiert, wenn du rauer wirst, flüsterst, brüllst? Was ist deine einzigartige Resonanz? Wenn du Gitarrist:in bist: Nutze Effekte, die du noch nie benutzt hast. Spiele Akkorde in ungewohnten Lagen. Verstimme dich absichtlich. Entdecke neue Klänge.
- Umarme deine „Fehler“ und Eigenheiten: Deine „Schwächen“ oder die Dinge, die dich von deinem Idol unterscheiden, könnten deine größten Stärken sein. Dein leichter Stimmbruch? Dein etwas schräger Akzent? Deine Tendenz, Töne zu schleifen? Das ist dein Charakter. Das macht dich unverwechselbar. Lerne, das zu lieben und gezielt einzusetzen. Authentizität ist ansteckender als Perfektion.
- Spiele deine Coversongs auf deine Weise: Wenn du Coversongs spielst (was völlig in Ordnung ist!), dann mach sie zu deinen Songs. Ändere das Arrangement, die Melodie, die Stimmung. Interpretationen sind Kunst. Eine Kopie ist nur eine Kopie. Das ist der Unterschied.
- Hole dir radikales Feedback: Frage Leute, die dich nicht kennen und nicht deine Fans sind, was sie von deiner Musik halten. Frage sie: „Was ist einzigartig an mir?“ Wenn sie Schwierigkeiten haben, das zu benennen, hast du noch Arbeit vor dir.
Der Weg zum eigenen Stil ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Es ist eine Reise der Selbstentdeckung, bei der du Schichten ablegst, bis dein wahres musikalisches Ich zum Vorschein kommt. Es ist mutig, unbequem und manchmal frustrierend. Aber am Ende wirst du nicht nur die „Queen of Coversongs“ sein, sondern die Königin (oder König) deiner ganz eigenen, einzigartigen musikalischen Welt. Und das ist unbezahlbar.
Was denkst du, ist der größte Stolperstein auf dem Weg zum eigenen Stil?